Plötzlich kehrt Ruhe ein. Die Hecken der Augsburger Kleingartenanlage Perzheimwiese scheinen die Alltagshektik zu schlucken. Es riecht nach Blumen, Rosen säumen den Weg. Ein paar Meter weiter stehen hohe Kastanienbäume, in denen die Vögel wohnen. Die Sonne blinzelt durch die Blätter, etwas entfernt brummt ein Rasenmäher. Willkommen im Wochenende, willkommen im Sommer.
Elisabeth Primixl öffnet ihr Gartentürchen und bittet mit einer ausladenden Geste zu sich herein. Die 75-Jährige kommt jeden Morgen und jeden Abend hierher. „Vor ein paar Jahren wollte ich 100 verschiedene Blumen anpflanzen. Ganz habe ich es nicht geschafft, am Ende waren es nur 80.“ Um ihren Schrebergarten kümmert sie sich schon seit 27 Jahren – ein kleiner, ganz persönlicher Luxus, den sich Primixl gönnt. „Das ist für mich Glück. Auch wenn es viel Arbeit bedeutet.“

Für die Rentnerin hat Leichtigkeit nichts mit Müßiggang zu tun. Beim Arbeiten im Garten lässt sich Selbstwirksamkeit erfahren, das belegen zahlreiche Studien. Hinzu kommen die positiven Effekte der Natur: Blutdruck und Cortisol gehen runter, die Farbe Grün beruhigt, der Schlaf verbessert sich. In der Natur wiegen die großen Sorgen weniger schwer. Und unvermittelt ist er da, der Geruch des Sommers.

Dieser Duft ist für jeden Menschen einzigartig: Mal riecht er nach frisch gemähtem Rasen, mal nach Freibad-Pommes und mal nach Sonnencreme. Was wir als typischen Sommergeruch empfinden, formt sich aus den persönlichen Erfahrungen unserer Vergangenheit. Sobald Rasen, Pommes oder Sonnencreme in der Luft liegen, wandern die Sinneseindrücke direkt ins limbische System, den emotionalen Kern unseres Gehirns. Dort erwecken sie Sommererinnerungen und lösen ein warmes, wohliges Gefühl aus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als „Madeleine-Moment“ – eine Hommage an Marcel Prousts berühmten Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, in dem ein Stück Madeleine-Gebäck beim Protagonisten eine Flut von Kindheitserinnerungen freisetzt. So kann es vorkommen, dass der Sommergeruch nicht nur in der Nase, sondern die Sonnenstrahlen auch auf der Haut kitzeln.

Ein paar Blumen weiter sitzen Familie Yildirim und Familie Tatli auf der Terrasse, vor sich ein Getränk, hinter sich einen Grillabend. Die beiden Ehepaare sind seit 45 Jahren befreundet, „wir sind Freunde, aber es ist wie Familie“. Seit zwölf Jahren besitzen Sadiye und Yüksel Yildirim ihre Parzelle. Immer, wenn sie Zeit haben, treffen sich die Freunde hier, essen, trinken, reden. An manchen Tagen gehen die Frauen früher, die beiden Männer bleiben noch. Sie jäten Unkraut, gießen die Gurken, kämpfen gegen die Schnecken. Bis einer der beiden sagt: „Jetzt reicht es.“ Dann setzen sie sich, hören Musik und pflegen ihre Freundschaft mit Gesprächen.
Sommer, Sonne, Sonnenschein – und der Geruch nach Blumen
Und an manchen Tagen genießt Sadiye die Ruhe allein. „Ich könnte hier stundenlang sitzen und die Blumen anschauen. Der Apfelbaum ist so schön, wenn er blüht. Und auf meine Rosen bin ich besonders stolz“, sagt die 57-Jährige. Darauf freut sie sich den ganzen Winter über: auf diese Freiheit, einfach mal loszulassen. Einmal nichts erledigen zu müssen und nur den Vögeln zu lauschen. Dass das Gezwitscher gut tut, ist mittels mehrerer Studien bewiesen. Bereits sechs Minuten Vogelgesang pro Tag können einen positiven Effekt auf die Stimmung haben, so die Ergebnisse des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Nur genau erklären, warum das so ist, sei wissenschaftlich schwierig.

Aber dass es wahr ist, weiß auch die elfjährige Letizia. Wann für sie der Sommer anfängt? „Mit Spaß, Vogelgezwitscher und Natur. Und Kommunikation. Und es ist heiß.“ Ihre neunjährige Schwester Eleonora überlegt kurz und sprudelt los: „Sommer ist für mich Schwimmen, Sonne, länger wach bleiben, Blumen und Freiheit. Und Kino und Restaurant.“ Wenn die beiden lachend durch die Schrebergartensiedlung springen, könnten sie das Sinnbild der Leichtigkeit sein, vor der es oft heißt, sie gehöre der Jugend.

Doch das stimmt nicht ganz, sagt Marion Tauchmann aus einem der Nachbargärten. Man müsse als Erwachsener nur lernen, Prioritäten zu setzen. „Für mich ist es meine Familie. Klar sorge ich mich als Oma um die Zukunft meiner Enkel. Dennoch muss sich einprägen, die Zeit auch zu genießen“, sagt Tauchmann. Noch in der DDR geboren, hat die gelernte Erzieherin schon einige Umbrüche erlebt. Morgens auf ihrem Balkon, wenn sie viel Zeit für den Kaffee und ihre Blumen hat, erfreut sie sich ganz bewusst des Sommers in der Stadt. Denn die Schwere kommt von ganz allein. Aber um die Leichtigkeit, so ironisch es klingen mag, muss man sich bemühen. Und hier, an einem Sommerwochenende inmitten von Grün, fällt das leicht.
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